Ein Desaster vor allem für Facebook

  23 Mai 2018    Gelesen: 631
Ein Desaster vor allem für Facebook

Vor dem EU-Parlament hat Mark Zuckerberg den PR-Kampf wohl gewonnen. Inhaltlich sieht es allerdings anders aus: Der Facebook-Chef hat die Macht der EU unterschätzt. Das kann teuer werden.

 

Mark Zuckerberg wurde von EU-Parlamentariern befragt. Das Format erschien unglücklich, unter den Echtzeitexperten auf Twitter und den meisten Journalisten herrscht die Meinung vor: ein Debakel, die EU hat sich blamiert. Meine Einschätzung ist eine diametral andere.

Natürlich legte sich eine mehltauhafte Schicht der Blamage über das Event. Aber das ist oft so, wenn das umständliche Prozedere der EU-Bürokratie auf die aufmerksamkeitsökonomische Öffentlichkeit trifft. Echte, harte, demokratisch zähe Politik ist ohnehin schwierig vermittelbar. Und es ist ein Problem, dass die einzige Institution, die sich schlechter vermarktet als die EU, der Berliner Flughafen sein dürfte. Aber das hat nur den Blick auf das wahre Debakel verstellt.

Die Anhörung war ein Desaster für Facebook. Zuckerberg hätte kaum eine bessere Vorlage liefern können für eine aggressive Regulierung durch die EU. In einer Mischung aus Nichtantworten, Ausweichen und "Keine Zeit"-Gebaren ist nicht nur eine Missachtung des EU-Parlaments offenbar geworden. Zuckerberg hat auch bewiesen, dass er die Konfrontation noch immer als PR-Kampf sieht.

Diesen Teil des Kampfs hat er in der Tat gewonnen, aber er hat in dramatischer Weise die Macht der EU unterschätzt. Deshalb wird fast zwingend früher oder später ein Exempel an Facebook statuiert werden. Leider eignen sich die meisten, gravierenden Probleme mit Facebook kaum dazu, als Großexempel behandelt zu werden. Sie sind fast alle komplex und vertragen keine Holzhammerregulierung. Die Notwendigkeit sowohl zur Regulierung wie auch zur Differenzierung lässt sich an drei konkreten Punkten aus der Anhörung erklären:

1. Micro-Targeting


"Werden Sie Nutzern erlauben, 'targeted advertising' abzustellen?" Diese Frage wurde in verschiedenen Variationen gestellt, sie bezieht sich vor allem auf Micro-Targeting, also Werbung für sehr spezielle Nutzergruppen, genau darum ging es auch beim Cambridge-Analytica-Skandal. Eine Antwort hat Zuckerberg nicht gegeben, aber sie lautet: Nein. Denn genau das ist die Essenz des Geschäftsmodells von Facebook.

Das Thema ist wesentlich vielschichtiger als es scheint. Zum Beispiel hört sich verstörend an, dass Facebook die Wahrscheinlichkeit einer Krebsbetroffenheit abschätzen kann und genau in diesem Sinn Werbung erlaubt. Allerdings könnte ein schlichtes Verbot für die Betroffenen desaströs wirken. Eva Schumacher-Wulf hat das Magazin "Mamma Mia!" gegründet, es versteht sich als Interessenvertretung von Menschen mit Brustkrebs. Sie sagt: "Wir haben wenig Budget, deshalb ist es wichtig, in unserer Kommunikation keinen allzu großen Streuverlust zu haben. Somit ist für uns das hilfreich, was häufig kritisiert wird." Sie hat mit Micro-Targeting zu einem der delikatest denkbaren Themen eine Gemeinschaft von 20.000 Menschen aufgebaut.

Die falsche Regulierung oder gar das Verbot von Micro-Targeting, was auch schon als "Lösung" für das Cambridge-Analytica-Problem gehandelt wird, droht enorm kontraproduktiv zu werden. Gerade in Bereichen, die so plakativ regulierbar erscheinen: Targeting für Krebskranke, OMG! Natürlich kommt Werbebudget-Konkurrenten, etwa klassischen Medien, eine Beschränkung der Fähigkeiten der Digitalkonzerne sehr entgegen. Aber faktisch lassen sich viele Zielgruppen fast ausschließlich durch Micro-Targeting erreichen, und dabei geht es eben nicht nur um sinnlose Quatschprodukte. Mit seinen Nicht-Erklärungen und seinem völligen Versagen auf die Nachfragen zur Datenspeicherung von Nichtnutzern (Stichwort "Schattenprofile") hat Zuckerberg begünstigt, dass die Regulierung zum Micro-Targeting bitter undifferenziert ausfallen wird.

2. Hetze und Zensur

Eine der schlimmsten Figuren des Parlaments, die Brexit-Hupe Nigel Farage, war enttäuscht: "Politische Ansichten rechts der Mitte" würden seit Jahresanfang irgendwie zensiert. Die klassische Opferpose der Rechten und Rechtsextremen. In der Antwort von Zuckerberg aber verbarg sich ein bisheriges und auch künftiges Drama: "Wir haben und werden niemals Entscheidungen über erlaubte Inhalte [...] treffen anhand politischer Orientierung."

Das ist objektiv falsch, und es muss auch objektiv falsch sein. Man muss schon eine merkwürdige Vorstellung haben von "politischer Orientierung", um implizit zu behaupten, dass alle Politik okay sei. Und alles Verbotene deshalb keine Politik. Es handelt sich um eine argumentative Sackgasse, in die sich Facebook selbst manövriert hat. Wahrscheinlich, weil mit Trump in den USA regelmäßig menschenverachtender Dreck Teil offiziöser politischer Verlautbarungen ist. Da fährt man einfacher mit der Behauptung, Politik sei Politik und Hetze sei Hetze, das ließe sich in absoluten Begriffen trennen.

Leider ist eine Lösung notwendig, aber extrem komplex. Die EU wird eine Art europäisches Netzwerkdurchsetzungsgesetz anstreben; das jedoch war schon in Deutschland gut gemeint und schlecht gemacht. Bei der gegenwärtigen Dynamik der EU zwischen rechten und rechtsextremen Regierungskräften in Polen, Ungarn, Österreich, Italien - wird eine Meinungsregulierung ein Alptraum in jeder Hinsicht. Zuckerberg hat mit seinen ausweichenden Statements die Chancen darauf deutlich erhöht.

3. Monopol

Den für Facebook gefährlichsten Fehler hat Mark Zuckerberg beim Thema Monopol gemacht. Einer der mächtigsten Männer der EU, Manfred Weber (CSU), Fraktionsvorsitzender der konservativen Parteien, sagte: "Ich glaube an Märkte und Regeln, aber ich möchte auch alle Arten möglicher Monopole stoppen. Deshalb denke ich, es ist Zeit, die Zerschlagung des Facebook-Monopols zu diskutieren." Das ist vielsagend konkret. Auch Guy Verhofstadt, der Manfred Weber der liberalen Parteien, forderte die europäische Kartellbehörde auf, tätig zu werden.

Zuckerbergs Antwort war die gleiche wie für den US-Senat: "Wir existieren in einem sehr kompetitiven Raum, wo Menschen viele verschiedene Instrumente zur Kommunikation nutzen." Das ist strategische Irreführung, Verhofstadt verglich es mit einem Auto-Monopol, das sich mit dem Verweis auf Flugzeuge und Eisenbahnen rausredet. Hier ist essenziell, wer gefragt hat: Die wichtigsten Stimmen von Konservativen und Liberalen - eigentlich also diejenigen, die traditionell etwas konzernfreundlicher agieren als andere Parteien.

Facebook-Chef vor EU-Parlament: Mark Zuckerberg sagt "sorry"

Aber Facebook lässt sich von Europa aus kaum zerschlagen. Deshalb wird die Monopol-Diskussion zunächst zu einer Entflechtungsdiskussion (Richtung WhatsApp und Instagram) und dann zu einer Frage der Strafe. Und hier, im Bereich des Kartellrechts, versteht Europa extrem wenig Spaß. Die höchste Strafe, die je von der EU verhängt wurde, bezog sich darauf. Sie war zehnstellig und wurde 2017 gegen Google verhängt. Solche Beträge schmerzen sogar Digitalkonzerne, und weil die EU ausdrücklich auf "Abschreckung" setzt, sind noch höhere Summen vorstellbar. Die wichtigste Frage der Anhörung kam von Weber: "Können Sie mich überzeugen, Facebook nicht zu zerschlagen?" Ich kann nicht erkennen, dass Zuckerberg das gelungen ist, und bätschi, das wird teuer.

Fazit


Zuckerbergs Desaster liegt vermutlich begründet in der Diskrepanz zwischen amerikanischer, öffentlichkeitsfixierter und europäischer, prozessual geprägter Politik. Man sollte diesen Unterschied der Kontinente nicht für sich werten, beide haben ihre Vorzüge und Probleme. Aber man kann mit Instrumenten, die auf die amerikanische Politik zugeschnitten sind, keine EU-Operation nebenbei durchführen. Zuckerberg hat amerikanische Antworten auf europäische Fragen gegeben. Ein EU-Exempel kommt auf uns zu, es wird teuer für Facebook und trotzdem wird es dabei nur Verlierer geben.

"Ich habe sechs Ja-Nein-Fragen gestellt und keine einzige Antwort bekommen. Sie wollten dieses Format nicht ohne Grund", sagte ein Parlamentarier. Zuckerberg antwortete: "Ich werde sicherstellen, dass [...] Ihnen [schriftlich] die Antworten auf diese Fragen zugehen." Dann macht Zuckerberg mit beiden Händen eine irritierend gesprächsbeendende Geste. Er hat den PR-Teil gewonnen, glaubt er. Stimmt. Vielleicht denkt Zuckerberg, es sei jetzt vorbei. Ist es nicht.

spiegel


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